Immer wieder findet in Neuwied der Patientenstammtisch für Ärzte, Patienten, Pflegepersonal und Interessierte statt. Jeder ist willkommen – egal ob regelmäßig oder nur zu bestimmten Themen.
Herz und Seele des Patientenstammtisches ist Frau Dr. Anja Meurer, Obfrau der Kreisärzteschaft. Sie organisiert die Treffen und sorgt immer wieder für spannende, abwechslungsreiche Themen.
Das Thema am Dienstag, den 05.09.2017 war

„Posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) und ihre Behandlung“.

Referentin war Frau Daniela Lempertz aus Neuwied.

Daniela Lempertz Daniela Lempertz aus Neuwied - Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin NeuwiedKinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin

Auf ihrem Lebensweg hat sie beide Seiten der „Medaille“ mitbekommen. Jetzt von der psychologischen Seite, früher war sie jahrelang Krankenschwester auf der Intensivstation. Wie kann man besser begreifen, dass Seele und Körper zusammenhängen.
Und Frau Daniela Lempertz schaffte den Spagat zwischen „Ärztedeutsch“ und verständlich sein. In ihrer PowerPoint-Darstellung zeigte sie Fakten und untermalte diese mit bildlichen Gleichnissen, die das gesagte lebendig erscheinen ließen.
Was ist ein Trauma? Warum reagieren Menschen unterschiedlich auf ein traumatisches Erlebnis? Hier stellte sie Risiko- und Schutzfaktoren gegeneinander. Wir sind nie sicher im Leben. Mögen wir uns auch noch so absichern. Aber in allgegenwärtiger Unsicherheit können wir nicht leben.
Fakt ist, haben wir ein gesundes Umfeld, dann kann das gegen ein Trauma wie eine Impfung wirken. Sind wir von Kindheit an immer wieder Traumatas ausgesetzt und haben keine soziale, sichere Basis, dann sind wir anfällig für eine posttraumatische Belastungsstörung. Wir haben dann kein sogenanntes „Toleranzfenster“.
Das Problem: 80 % der Traumatas können selbst von Fachkräften nicht erkannt werden. Denn die können gemein wirken. Zum Überlebensschutz können die eingekapselt und verdrängt werden, sind also nicht sofort sichtbar. Der Mensch lebt erst einmal wie normal weiter. Erst später kommt es zu Reaktionen (PTBS). Man reagiert nichtmehr wie früher, man kapselt sich ab, wird teilweise total teilnahmslos oder überreagiert. Auch kann der Körper mit Krankheiten reagieren und man sieht selbst keinen Bezug auf das traumatische Erlebte. Der Betroffene kann sozial auffällig werden, evtl. kann er sein bisheriges Leben nicht wie gewohnt weiterleben. Im Schlimmsten Fall droht Erwerbsunfähigkeit, sogar der Tod.
Aber es geht noch weiter. Nicht nur die Betroffenen eines Traumas – ich sage jetzt mal ganz grob und unmedizinisch – ein Trauma ist ein Geschehen, dass einem dem Tod in dem Moment nahebringt – sondern auch die Kinder und Enkel können betroffen sein. Wenn eine traumatisierte Person es schafft, weiterzuleben, dann tauchen immer wieder Momente des Flashbacks auf. Momente, in denen diese Menschen urplötzlich in ihrem Alltagsleben durch einen sogenannten Trigger (Auslöser einer Erinnerung) gefühlsmäßig im Trauma gefangen sind. Das Umfeld merkt die Gefühle, kann sie aber meist nicht zuordnen und speichert sie ab. So wird ein Trauma auch vererbt. Und die Erben speichern diese Gefühle, können damit aber auch nicht umgehen, da sie nicht wissen, woher es kommt. Frau Daniela Lempertz schilderte das sehr überzeugend mit dem 11. September 2011. Hier malten weltweit Kinder eines Hochhauses mit einem Flugzeug. Warum? Sie haben die Reaktion auf das Ereignis bei den Eltern oder anderen gesehen, spürten das Entsetzen, haben es übernommen und die Bilder aus den Medien auf Papier gebracht. Es ist in die Gefühlswelt der Kinder eingedrungen.
Das Thema wich in der Diskussionsrunde auch Richtung Flüchtlingskinder ab. Hier kommt erschwerend hinzu, dass geschulte Dolmetscher mit beteiligt sein müssen und auch die kulturellen Unterschiede spielen eine Rolle. In manchen Regionen wirken psychische Krankheiten auch einfach auch nur als „verhext“. Da gilt ein Trauma einfach nur als bestenfalls Tabu.
Gute Erfahrung hat Frau Daniela Lempertz in der Zusammenarbeit mit Kindergärten. Je früher ein Trauma erkannt wird, umso besser und schneller ist es lösbar. Sie beschrieb es mit dem Sinnbild eines Lebensbuches. Wenn ein Trauma auf Seite xy auftaucht, dann wird immer wieder im Leben diese Seite automatisch aufgeschlagen. Wird das Trauma allerdings aufgearbeitet, verschwindet es nicht von dieser Seite, sondern wird in das Leben integriert, und das Buch öffnet sich nicht immer wieder automatisch auf dieser Seite. Also ein Weg mit dem verarbeiteten Trauma weiterleben. Es gehört zum Leben.
Wir selbst in unserer Geschichte unseres Landes haben das Trauma des Krieges. Und man muss nicht immer selbst betroffen sein, Zeuge eines Unfalls zu sein kann evtl. auch reichen. Eine Mitarbeiterin eines Hospizes erzählte, dass viele in Alter von ca. 80 Jahren vor dem Sterben auf einmal von diesen Ereignissen erzählen müssen, bevor sie Ruhe finden. Viele Missbrauchs Opfer erinnern sich erst Jahrzehnte danach an das Geschehen. Sozusagen, erst, wenn das Leben genug Ruhe findet, sich damit auseinanderzusetzen, taucht die Erinnerung auf.
Warum dann Traumatas bearbeiten, wenn man so lange damit leben kann? Einfach, weil es „kostengünstiger“ ist und die Lebensqualität erhöht . Folgekrankheiten werden verhindert, kommende Generationen werden damit nicht belastet. Fakt ist, viele unbearbeitete Traumatas führen zu sozial geänderten Verhalten bis hin zur Arbeitsunfähigkeit und Krankheiten. Ein früheres Sterben mag wohl die Rentenversicherung entlasten, kostet aber die Krankenkasse früher viel Geld. Und es geht dabei um eine gesamte Volkswirtschaft.
Doch immer noch haben wir im Kopf, wer sich psychologische Hilfe sucht, ist gaga. Frau Daniela Lempertz hatte den schönen Vergleich: Haben wir einen Schnupfen, dann können wir den zuhause auskurieren, haben wir eine dicke Nasennebenhöhlenentzündung, dann brauchen wir schon ein wenig mehr. Und wer würde schon einen Patienten mit schwerer Lungenentzündung nur mit Aspirin behandeln und nicht ins Krankenhaus bringen? Ähnlich ist es mit PTBS. Manche sind ambulant behandelbar, andere brauchen medikamentöse, ambulante oder teilstationäre Behandlung und wieder andere müssen einfach stationär behandelt werden, bis genügend Stabilität geschaffen wurde.
Aber wir brauchen nicht nur nach Flüchtlingen und in unserem Land nach Kriegstraumata zu schauen. Die Patienten von Frau Daniela Lempertz kommen auch wegen Missbrauch, Gewalt in der Familie, Verluste, schwerer Krankheit oder chronischer Diagnosen (wie z.B. MS, Diabetes) zu ihr. Besonders zu beachten sind auch die Mobbing- Opfer, die in dem Alter von 14- 19 Jahren leicht zum Suizid führen können.
Ein Unterschied ist aber auch zu machen, nicht alles ist ein traumatisches Erlebnis: nicht jedes Kind, das ein jüngeres Geschwisterchen bekommt ist ein Trauma-Patient. Es mag wohl Schwierigkeiten geben, aber nicht alles ist Trauma.
Bemerkenswert fand ich auch die Aussage von Frau Daniela Lempertz zur Psychohygiene zum reinen Selbstschutz. Jeder kann alles erzählen, aber es dürfen keine Bilder entstehen, denn die können den Zuhörer selbst traumatisieren. Eine Gradwanderung, die notwendig erscheint, wie auch ein Zuhörer bescheinigt. Dieser würde sich gerne mal zu Flüchtlingen im Café setzen, aber er hat Angst vor den Bildern, die er nicht ertragen würde.
Mich erinnert es an den Brand in der Nachbarschaft. Im Fernsehen ist so was leider normal, aber in unmittelbarer Nähe etwas anderes.
Insgesamt ein gelungener Vortrag mit vielen Fakten, Studien und Behandlungsmöglichkeiten, die ich aber für den Bericht ausgelassen habe, da es doch sehr medizinisch war.

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Foto unten: Dr. Anja Meurer und Daniela Lempertz